oppenheima war auch so eina

Skizze zum Thema Alltag

von  alter79

    
    Nach dem ersten Schlag schaute Emil überrascht. Der zweite spaltete ihm die Lippe, der dritte die Augenbraue; er versuchte sich am Urinal hochzuziehen. Sein Jochbeinknochen brach wie nichts. Er schlug der Lä n ge lang hin. Blut rann ihm aus dem Maul.
    „Hast du genug?” Nichts ... Pierre ließ ihn liegen, fuhr weiter, zum Krankenhaus. Ihr Gesicht war gegen ihn gewendet, als ob sie ihn erwartet hätte.
    „Schön, dass du gekommen bist.”
    Sie war spitz, kochte feucht hoch. Er stieß zu, ohne etwas zu sagen , und erst nach dem Erguss entwich ihm der Druck hinter dem Stirnbein.
    „Denke nicht”, sagte sie. „W enn du denkst, bist du mir unheimlich.”
    „So?”
    „Hier, nimm das Geld!”
    Sie gab ihm ein verschlossenes Kuvert.
    „Was soll das?”
    Er liebte sie nicht. Er brauchte ihr Geld nicht; die Urfut, nichts sonst.
     
8     
    Endzeit war, Gefühlsleere in ihm. Von irgendwo zog eisiger Atem vo r bei. Es roch nach Karbol und Winter. Kälte war, Nacht. Die Zeit zerpresst vom Gewicht Vergangenem. Eben noch warme Scheiße, die in Minuten gefror. Wochen und Monate Dunkelheit, der man nicht aus dem Weg g e hen konnte. Ekel, der notwendig, aber nicht da war. Das Leben als ve r pisstes Bett, das er morgens hinter sich ließ. Er, Figur auf Eis, das trocken knackte, als zerträte jemand Zuckerwürfel. Die weiße Weite als blende n des Tischtuch, die in seinen Augen schmerzte. Und der unaufhörliche Wind, der Sturm, der die Bäume des nahen Waldes knackend umlegte, der alles Leben auf null und darunter abkühlte. Lebensfeindlich die an die Schiffswand rumpelnden Eisschollen. Diese dicken Batzen von kristall e nen Wellen, die wieder und wieder vom Strom angeschoben gegen die Bordwand bolzten.
     
    Dieses elende Eis, das bog sich tagelang krachend in- und übereinander, türmte sich kopulierend am Schiffsleib, um den zu zerstören. Dazu oft harscher Lärm, ein Sirren und Klirren, Glasharfenspiel, das höher als Menschengesang tönte. Fremde Melodien, im Fluge von weit her, die in der Nähe des Schiffes zu Kanonendonner anschwollen, zum Tod, der b e drohlich über die Brache peitschte, um alles zu vernichten. Schloss er die Augen, konnte er ihn erkennen, – hinten im Süden. Westlich lag das Städtchen Schnackenburg, das unendlich fern schien an solchen Tagen. In die Kneipe, nach Gartow, gelangte er bei solchem Wetter schon gar nicht. Gänse waren seine täglichen Begleiter, die er von Bord aus mit Abfällen fütterte. Die Essensreste warf er zwischen die flügelschlagende Masse. War wieder Ruhe, standen die Viecher wachend als Terracottaarmee n e ben dem Kahn, manche den Kopf zwischen den Schwingen, um sich vor der Kälte zu schützen, andere balancierten kunstvoll auf einem Bein – Artisten.
     
    Einige Male tunkte er Brot in Wodka. Gänse vertragen nichts, wusste er bald. Ein besoffener Betriebsausflug war nichts gegen sie. Dieser Krach, die ständigen Streitereien, dieses ungehemmte Kot
lassen. Schwarzbraune Würstchen teils in Federn verpackt um sein Domizil herum, die alles ve r sauten, wie er meinte. Und doch, als eines von dem Viehzeug in einer eisfreien Stelle, betrunken wie es war, zu ertrinken drohte, sprang er hi n zu, packte das Tier am Bürzel und rettete es. Nach drei Tagen Pflege lief die Gans wie neu und ohne sich nach ihm umzudrehen.
    Dann aber saß er betrunken. War im tagelangen schwankenden Gehen rund um das Schiff, auf Deck torkelnd, an der Reling entlang. Schlitternd über rutschige Planken. Letztendlich waren Januar, Februar und März vorüber und er wusste, wie weit weg für ihn die Normalität bereits war, wie bedeutungslos für ihn menschliche Nähe. In seinem Inneren, nach dem Ritual von Gespräch, Beratung, Schlussfolgerung, erreichte er eine einsichtige Zone, ein persönliches Gesetz außerhalb der eigentlichen G e setze – den Überlebenswillen. Schlicht riet die Stimme in ihm: Es ist Zeit, mit der Sauferei aufzuhören, die Gänse werden auch bald auf den Weg sein. Ja, er wusste, er würde alleine sein, wenn er die tägliche Sinnlosi g keit nicht stoppen könnte.
    Andererseits brauchte er diese tiefe Bewusstlosigkeit, die war das Einz i ge, die ihn mit sich selber aussöhnte, die ihm als Seelenmedizin vertraut war. Luftblasen, sein Denken, die zur Oberfläche aufstiegen, dieses a u genblicklich Absolute an Sein.
     
    „Ich will dir die Haare schneiden!“
    „Warum? Ist der Präsident in der Stadt, oder sehe ich so grauslich aus?“
    Polizist Manfred lachte herzhaft, der war bemüht, zu ihm zu gehören, warum auch immer.
    „Ne, ne, Pierre, war ein Spaß“, sagte Manfred. „I ch muss dich mitne h men, die Sache mit Emil.“
    „Mitnehmen?“
    „Ja, der Richter will dich sehen!“
    „Ich wäre auch so gekommen,  ohne dich.“
    „Warum biste nich …, der hat dir schließlich ne Vorladung geschickt.“
    „Hab keine bekommen.“
    Dabei blieb er, auch vor dem Amtsrichter.
    „Sie werden beschuldigt ... “, sagte der, blätterte in den Akten und wol l te wissen, warum er das getan, und wie schwer die Verletzungen bei Emil waren, die durch die Schläge entstanden waren . Eine Stunde später war er verurteilt , zu fünftausend Mark Geldstrafe.
    Der Richter: „Die können Sie gemeinnützig abarbeiten!“ Und mit dieser Auflage wurde er entlassen.
    „Melden Sie sich wöchentlich bei der Polizei in Gartow!“
    Dort befand sich die Wache in einem Privathaus; ein Schild protzte d a von. Der Polizist hieß Manfred, wie er wusste.
    „Mache ich, Herr Richter.“
    Neben der Wache wohnte Marie.
    „Ich werde es abarbeiten, Herr Richter!“
    Er war einfach davongekommen, hatte er sich erklären müssen. Wäre das Urteil anders ausgefallen, hätte er wieder ins Gefängnis gemusst; und wieder Angst, erneut die höllische Achterbahnfahrt durch Zeit und Raum. Erleichtert, dass er nicht in den Knast musste, kotzte er seine Freude hi n ter dem Gericht zwischen einen Stapel alter Autoreifen. Minuten später fingen die Herzbeschwerden an. Die Kreislauftropfen fehlten. In der Kneipe machte das Fernsehen auf heile Welt. Der Wirt saß dann bei ihm, am Wachstuch über dem Holztisch. Bier dampfte, Schnaps eiste still. Das Gespräch kam auf Marie – und Emil.
    „Emil hat mal auf Melker und Rinderzüchter gelernt, auf dem Feld g e arbeitet auch; aber hier hat dann alles wegen BSE dichtgemacht, rechnete sich nicht mehr. Als Marie damals schwanger wurde, da ist sie in die Kl i nik gefahren, um es wegmachen zu lassen, dann wollte sie es doch beha l ten. Da hat Emil sie durchgeprügelt, so lange bis sie es wegmachen ließ. Danach wollte sie ihn verlassen. Dann ist sie aber doch bei ihm hocken geblieben, sie hoffte auf ein besseres Leben, bis sie wieder dran war mit Schlägen. Keinen Job, kein Geld, keine Zukunft. Danach hat sie Selbs t mord versucht.“
    Pierre schüttelte darüber nur den Kopf. „Sorge n haben die Leute ... “
    Und wie bestellt kam Emil herein.
    „Morjen.“
    „Morjen!“
    „Wodka mit Cola!“
    Pierre und Emil sahen sich schweigend an. Der Wirt hielt den Blick g e senkt und putzte Gläser. Auch er merkte: Diese Gegnerschaft stand in hassvollen Blicken wechselseitig in der Kneipe stramm, und wurde erst durch Emils Wegsehen zur Ruhe gebracht. Und kein Wort mehr. Nie mehr, es war alles schweigend gesagt. Pierre trank aus, dann ging er.
    Am nächsten Tag besuchte er Marie. Emil war schon da, mit frischer Naht quer über dem Unterarm. Er war die Treppe runter gefallen, in eine Bierflasche rein, sagte Marie später. Auch hier: kein Wort mehr. Nie mehr, befahl er ihr. Nachdem er sie vorgenommen, hatte war er wieder alleine.



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Kommentare zu diesem Text


 Teichhüpfer (04.01.24, 19:24)
Deine Mörder schicken mir Kindernutten vor das Fenster. Es wäre gut, dich mal wieder zu sehen. Ich habe ja echt abgelacht, wie die hier im öffentlichen Nahverkehr, Michael fahren.
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