Cäncler aller Teutschen :-)

Text zum Thema Aktuelles

von  alter79

Es war nicht der bröckelnde Putz an den Wänden, nicht das knarrende Bettgestell, nicht die Fesselung an Händen und Füßen, es waren die tausend Tritte der Holzschuhe die über den Boden klapperten, - mal nahe, dann wieder fern, deren Geräusch ihm Tränen der Wut in die Augen trieben, von denen er sich erlösen musste, bevor er irre werden würde. - Es war der Druck nackter Hacken auf den Boden, und das Schaben von Filzsohlen der Häftlinge auf Linol. Geräusche, die ihn nervten. Töne, mal hoch, mal tief, mal oben, mal unten, deren Klang zu Sprache mutiert war, - murmeln, wie ein Quellbach nach Regen. Ja, es ist unerträglich, wenn man da liegt und nichts weiter hat als den Blick an die Decke, an die Wände, an Mauern, die vor Blut triefen, von Scheiße braun scheinen. Und es war der strenge Geruch von Bohnerwachs, dem Dämmerzustand durch Haldol. Medizin, sagt man, ein Mittel, nahe dem Tod, weiß Yasar, das ihn in Gleichgültigkeit versetzt. Sogar gegen einen starken Willen wie seinen. Und, das alles verursachte ein solches Desinteresse, wie er es vom Hasch rauchen kannte, - manchmal eine Illusion tötende Methode, die seine Mord- und Gewaltfantasien fraß ... Doch eigentlich war es der Schnee von gestern, der ihm auf den Ohren lag, damals, als Kleinkind, als Mutter ihn im Bettkasten versteckt hatte, als Vater ihn holen wollte, um ihn weit hinter Anatolien den Großeltern und dem Rest der Verwandtschaft zu präsentieren, - wie ihm Mutter Jahre später sagte. Dieses wispernde Geräusch von Gänsefedern im Kopfkissen, die Luft ohne Sauerstoff, in einer Art von Sprache, die er immer dann hörte, wenn er nichts hörte. War es der Herzschlag im Kopfpuls, die anbefohlene Unfreiheit - zu tun und zu lassen. Dieses eingemauert sein im Körper, dem er ab und an gerne die Haut abgezogen hätte, genau wie seinem ersten Opfer, einem Kaninchen, dem er mit einem Ruck den Balg abgezogen und sich als Mütze auf dem Kopf drapiert hatte. Da war er zwölf. Und das Kaninchen gehörte einem Freund. Und es war die Zeit, als er daraufhin hier gewesen, die er mit seinem Blut ausgemalt hatte, von der man in seiner Akte stehen hat - das es an die zwei Liter Farbe war, die er zum Wände streichen benutz habe. „He, kannst du was spenden?“, hatte er den Bettnachbarn angehauen.

„Wofür?“
„Für die Freiheit in Nicaragua.“
„Hört sich gut an.“
„Ja, nicht. Schade, dass du es nicht sehen kannst.“
„Du kannst ja meine Fesselung etwas lockern ...“
„Eben nicht! Seit dem letzten Mal hast du überall Schlösser davor.“
„Scheiße!, dann erzähl mir, was du malst.“
„Wird ein Adler; den Kopf habe ich schon.“
„Adler ist gut, - ist besser als ein Engel. Also nimm, was du brauchst.“ Die gut anderthalb Liter lies Yasar über einen Strohhalmen direkt aus der Vene in eine Kanne laufen, die sonst zum Waschen diente, - und malte den Adler. „Du, ich bin ziemlich müde. Mach doch den Rest morgen, ja?“
„Nein, ist nicht mehr viel, - ich mache ihn jetzt fertig!“

In seiner Akte steht, dass es nur dem beherzten Einsatz des Pflegepersonals zu verdanken gewesen sei, dass er ...
’Es- waren- doch- nur- noch- die- Krallen- zu- machen ...,’ empört sich Yasar. Doch das hat man nun davon, denn nun war das scheißbraune Weiß wieder da, der Linolboden nahezu unverändert, die Klapperschuhe immer noch aus Holz mit Gummisohle -, die er so hasste, wie die Menschen, die diese Schuhe trugen. Die Konsequenz: Er musste weg, fliehen, bevor er wegen der hier herrschenden Umständen sterben müsste ... Doch erst einmal dachte er sich nur in eine Freiheit, die er meinte, - an das Blut von damals, die zwei Liter, von denen nur ein halber Liter der Suppe seines gewesen. Gleich darauf denkt er an Lanz, denn irgendwie muss die Zeit schließlich rumgehen: Ja, ich werde mir seine Frau vornehmen, - falls der ’Arsch’ überhaupt eine hat ..., und Wärme strömt ihm bei dem Gedanken an den Arsch von Lanz und an den von dessen Frau ins Geschlecht. Alles wie immer, wenn er sich Fantasien hingibt - und Träume real werden sollen. Und keine Möglichkeit zur Flucht. Also denkt er sechs Monate im festen Haus daran, durch Gitter hindurch, über die Mauern, beim täglichen Spaziergang im Kreis. In die blaue Luft, die weiße Sonne, den gelben Mond, die silbernen Sterne, die bunten Pillen, die sein Leben ruhig fließen lassen. Die ihn geduldig machen für Frank, den Killer, zum Beispiel, der seine Opfer aufschlitzte, denen die Innereien entnahm, bis auf den Darm, um ihnen in die leere Körperhöhle zu pinkeln. Der Hirn aß, gebraten. Der Herz und Leber kochte, - der *Nierchen süß sauer einlegte.



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