Auch 'ich' (die Figur Molloy im Romanauszug) ...

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von  alter79


Andererseits ist es eine Modeerscheinung, immer alles gleich wissen zu wollen. Sofort auf dem Schirm zu haben. Den Punkt zu treffen. Immer verfügbar zu sein. Die Hysterie ’SOFORT’. Die Anbetung von Neurasthenie wie deren Verdammung, - dass es nämlich auch ein vernünftiges Mittelmaß gibt. Geben muss.
Was?
Mitgeprägt wird dieses bescheuerte Verhalten vor allem durch Unternehmer, Politiker, Spekulanten. Durch das Kapital an sich; aber auch durch Intellektuelle und Künstler. Kriminelle. Illegale Einwanderer und Süchtige aller Couleur. Die von der Angst des Niedergangs und Scheiterns getrieben. Doch manchmal genau vom Gegenteil; dem unerwarteten Aufstieg zu den schon genannten Figuren, - zum Beispiel. Doch mich lässt das kalt. Mich macht Molloy an der, anscheinend aus dem Polizeigewahrsam entlassen, sich die Nase am Glas der Absperrung platt drückt um mich zu beobachten und Grimassen zu schneiden. Doch ich wende mich von ihm ab. Sehe dann aber, wie in einem Rückspiegel, dass er urplötzlich seine Augen nicht mehr unter Kontrolle hat. Wie die fremdbestimmt, scheint es, von links nach rechts rollen um endlich im Nirvana hängen zu bleiben. Dass seine Halsschlagader sich luftpumpenartig aufpulst, - die nach weiteren fünf sechs Schüben fingerdick und blau hervorsticht - um dann seinen Kragenknopf vom Hemd zu sprengen. Wie Molloy heftig zu schwitzen beginnt und ich die von ihm an mich gerichtete elektrische Nachricht ’Hilfe - Herzinfarkt!’ empfange. Dabei ist er Langstreckenläufer, Gewichtheber, Boxer, Taschenspieler, Geistesakrobat, Überlebenskünstler und trainiert das alles auch jeden Tag. Auch deshalb bleibt er von mir ohne jegliche Diagnose; einzig Betablocker und den dringenden Besuch beim Psychotherapeuten rate ich an, - denn irgendwer muss ihn schon in seiner Kindheit ermordet haben. Und das gilt es abzuklären. Damit er die Botschaft auch ernst nimmt und begreift, lasse ich mir von einem Zollbeamten Papier und Stift bringen. Stelle mich Molloy in meiner uneigentlichen Eigentlichkeit a la Heidegger vor (Sie wissen schon: Sein und Zeit!) und mache mir sogleich Sorgen (und die wohl nicht unberechtigt) ob es ihm überhaupt gelingt die Austauschbarkeit von Personen umzusetzen, oder ob es bei der Wiederholung des allgemein üblichen Gefrages über Sein und Nichtsein von Öffentlichkeit bleibt; - dabei stirbt er gar nicht mal sooo schlecht.
Frank Sinatra hat übrigens für eine ähnlich Szene, ich glaube es war in ’Verdammt in alle Ewigkeit’ (Kinofilm von 1953 nach Vorlage eines Romans von James Jones, Altersfreigabe ab 12 Jahre trotz einiger heftiger Gewalt- und Sexszenen) an der Seite der sehr liebenswerten Deborah Kerr und eines kantigen Burt Lancaster für die Rolle des von ’Fatso’ Judsen gequälten Angelo Maggio den Oskar für die beste Nebenrolle erhalten. „Und wenn schon“, flüstern mir die brechenden Augen von Molloy zu, „mit dir bin ich noch lange nicht fertig!“ Und ich fürchte mich einen Moment fast so wie Sinatra sich vor Ernest Borgnine ängstigte (der, wie Sie sicher wissen, den sadistischen Gefängniswärter ’Fatso’ Judson gab), bevor er dem bei einer Kneipenschlägerei das Messer in den Leib rammte. Zudem möchte ich jetzt lieber im Ozean schwimmen, an einem warmen Sandstrand liegen, mit einer Frau an meiner Seite von den Wogen des Meeres überspült oder irgendwie anders  getröstet werden. Meinetwegen auch wahllos. Nur von Molloy nie mehr! Nicht von seinen ehernen Glaubensbekenntnissen, widerlichen Geboten und seinen unzüchtigen Eigengesetzen. Doch genau in diesem (lebenswichtigen) Moment holt mich die Zeitlichkeit ein: „Sie sind doch Herr Kindermann, oder?“
„Nein, bin ich nicht. Mein Name ist Molloy!“
„Molloy? Ach... und das ist Ihnen eben erst wieder eingefallen?“
„Eben erst. Ja! Stimmt!“ Und schon wieder befinde ich mich in einer fremden, verqueren Welt die andererseits Realität darstellt. Geht es doch vor allem um eins: um strikte Kontrolle von Allem und Jedem (in jeder Hinsicht) und Ausuferung von Zwangshandlungen, - die ich mir zum Glück (bei Doktor Schütz II - Gutachter) während einer mehrtägigen Wartezeit auf einen Untersuchungstermin aus meiner Akte abgeschrieben habe; und die da sind: Sexuelle Zwangsgedanken: sexuelles Verhalten anderen gegenüber, z. B. sexuelle Handlungen mit Kindern, homosexuelle Kontakte, "verbotene" oder "perverse" Gedanken, Bilder oder Impulse u. a. Reinigungs- und Waschzwänge: unablässige Beschäftigung mit der Reinigung von Haushalts- oder anderen Gegenständen; exzessives und ritualisiert Händewaschen, Duschen, Baden, Zähne putzen, sonstige Körperpflege; andere Maßnahmen, um Kontakt mit Verschmutzung zu vermeiden oder zu beseitigen u. a. Technische Kontrollzwänge: Kontrollieren von Schlössern, Herd, Elektrogeräten, Türen, Fenstern, Wasserhähnen, Steckdosen usw. Psychosoziale Kontrollzwänge: Kontrollieren, ob man keinen Fehler gemacht hat; ob nichts Schreckliches passiert ist oder passieren wird; ob man sich selbst verletzt hat; ob man andere Menschen verletzt hat... (Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, dass dies nicht passieren kann) usw. Wiederholungszwänge: mehrmaliges Lesen, Rechnen, Schreiben; mehrmaliges Handeln: durch die Tür hinein- und hinausgehen, sich auf den Stuhl setzen und aufstehen (möglichst noch nach bestimmten Ritualen ablaufend), Schuhe abputzen, Hände abtrocknen usw. Zählzwänge: zuerst einfach, dann immer komplizierter und damit zeitaufwendiger, zermürbender, beängstigender, hoffnungsloser. Ordnungszwänge: alles und jedes, was sich irgendwie nach Zahl, Richtung, Anordnung usw. ordnen lässt: Kleider, Wäsche, Bücher, Werkzeug, Büromaterial, Geräte von Garage, Dachboden, Keller usw. Auch Sammel- und Aufbewahrungszwänge: alles, was sich einigermaßen geordnet und überschaubar horten lässt. Sonstige Zwangshandlungen: gedankliche Rituale (außer Kontrollieren, Zählen usw.) wie Gebete, Gedichte, sonstige Texte im Kopf aufsagen, Melodien nachsummen usw.; exzessives Erstellen von Listen über Alltagsdinge; unbeeinflussbarer Drang zu Reden, Fragen oder Bekennen; Rituale, wie Blinzeln oder Anstarren; Haare ausreißen; Drang, Dinge anzutippen, anzufassen, anzuklopfen, zu reiben, anzupusten, anzustoßen, zu überspringen usw. (alles aber nicht spielerisch, wie das gelegentlich bei Kindern vorkommen kann, sondern zwanghaft, peinlich und sich zeitaufwendig wiederholend). Und genau das bin ich: Aggressive Zwangsgedanken: Befürchtungen, obszöne Gedanken und Beleidigungen laut von sich zu geben, etwas anderes Peinliches zu tun, einen Diebstahl zu begehen, sich selber oder andere zu verletzen, z. B. mit einem Messer, mit dem Auto anfahren (einschließlich Fahrerflucht), Diebstahl, Einbruch, Brandschatzung, andere gewalttätige oder schrecken erregende Vorstellungen. Sorgen über Schmutz oder Keime, über Asbest, Strahlen, giftige Abfallstoffe, Reinigungs- und Lösungsmittel, Insektizide; Furcht, davon krank zu werden; Ekel in Bezug auf körperliche Ausscheidung wie Speichel, Urin, Kot usw. Religiöse oder moralische Zwangsgedanken: übermäßige Beschäftigung mit Fragen über richtige oder falsche Handlungen, über Moral; ferner die Befürchtung, Gotteslästerungen zu begehen usw. Zwangsgedanken bezüglich Symmetrie oder Genauigkeit: etwas könnte schief stehen, schräg hängen, unkorrekt liegen, unordentlich aussehen usw. Körperbezogene Zwangsgedanken: Besorgnis über Missempfindungen, Beeinträchtigungen, Störungen, Krankheiten; exzessive Sorgen hinsichtlich bestimmter Körperteile oder Besonderheiten des Aussehens, z. B. Haare zu dünn, Nase zu lang, Ohren zu groß usw. Unbeeinflussbarer Drang, bestimmte Dinge wissen oder ändern zu müssen; abergläubische Befürchtungen; Furcht, bestimmte Dinge zu sagen, zu verlieren, zu tun, zu unterlassen usw. Ja, all das bin ich: Kindermann (Molloy), - eine menschliche Zwangshandlung in Vollendung. Ein Gott. Ein Irrer. Kranker; was Sie wollen. Mir ist es längst egal. Punkt! Punkt! Punkt! EGAL!!!


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